Ruf nach mehr Humanität: Ein breites Bündnis appelliert an die nächste Bundesregierung
Der DRK-Landesverband Oldenburg e.V. hat sich einem Appell an die künftige Bundesregierung angeschlossen, der zu einer verbesserten Gesundheitsversorgung von Menschen aufruft, die Krieg, Folter und Flucht erlebt haben. Ein breites Bündnis an Organisationen setzt damit ein politisches Signal an die künftige Bundesregierung, darunter die großen Wohlfahrtsverbände wie das Deutsche Rote Kreuz, die Caritas und die AWO sowie die Bundespsychotherapeutenkammer, weitere Fachverbände und Menschenrechtsorganisationen. Initiator des Appells ist die BAfF e.V. (Bundesweite Arbeitsgemeinschaft Psychosozialer Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer e.V.)
Appell an die nächste Bundesregierung
Menschenrechte achten – uneingeschränkten Zugang zur Gesundheitsversorgung gewähren und von Krieg, Folter und Flucht traumatisierte Menschen vor Abschiebung schützen
Berlin, 10. November 2021
Geflüchtete und Überlebende von Krieg, Folter und Flucht haben ein Recht auf Schutz und Sicherheit. Dazu gehört auch, dass die gesundheitliche und psychosoziale Versorgung sichergestellt wird. Dies ergibt sich nicht nur aus völkerrechtlichen und europarechtlichen Verpflichtungen, sondern ist auch ein Gebot der Humanität.
Wir, Organisationen der Zivilgesellschaft, der Wohlfahrt, Berufs- und Fachverbände stellen im Rahmen unserer täglichen Arbeit mit Geflüchteten fest, dass Deutschland diesen Verpflichtungen nicht vollständig nachkommt. Daher appellieren wir an Sie, im Rahmen der Koalitionsverhandlungen den Schutz und die notwendige medizinische Versorgung Geflüchteter sicherzustellen.
Zugang zu medizinischer Versorgung ermöglichen
Aus unserer Praxis wissen wir, dass notwendige Behandlungen oft zu spät oder gar nicht bewilligt werden. Die Folge: Erkrankungen chronifizieren und das Leid der Betroffenen verlängert sich. Dies ist für Menschen, die unter den Folgen von erlittener Folter oder anderer Menschenrechtsverletzungen leiden, gravierend. Unnötige medizinische und auch gesellschaftliche Folgekosten werden verursacht. Gerade die Pandemie hat gezeigt, wie gefährlich Vorerkrankungen sein können.
Daher sollte allen Menschen unabhängig vom Aufenthaltsstatus der Leistungsanspruch der gesetzlichen Krankenversicherung gewährt und bundesweit allen Geflüchteten von Anfang an eine vollwertige Krankenversicherungskarte ausgestellt werden. Dadurch können auch kostenintensive Notfälle vermieden werden.
Finanzierung der Psychosozialen Zentren sicherstellen
Bei der psychosozialen Versorgung traumatisierter Geflüchteter haben sich in Deutschland seit Jahrzehnten die Psychosozialen Zentren bewährt, indem sie die spezielle Versorgung für Überlebende von Krieg und Folter im Wesentlichen übernehmen. Gleichzeitig ist ihre Finanzierung bis heute nicht ausreichend und nicht nachhaltig gesichert. Dies führt dazu, dass viele Geflüchtete wochen- und monatelang keine psychosoziale Unterstützung erfahren bzw. auf einen Therapieplatz warten. Teilweise bleibt ihnen Unterstützung in ihrer Not ganz versagt. Damit alle, die Bedarf haben und psychosoziale Unterstützung und Therapie benötigen, versorgt werden können, muss die Finanzierung sichergestellt und bedarfsgerecht aufgestockt werden.
Gesetzlichen Anspruch auf Sprachmittlung einführen
Zudem gibt es in Deutschland für geflüchtete Menschen bislang keinen Anspruch auf Sprachmittler*innen, die sie bei der Behandlung durch Ärzt*innen oder Psychotherapeut*innen unterstützen. Das führt oft zu Missverständnissen oder sogar Fehlbehandlungen, die mitunter lebensgefährlich werden können. Es braucht einen gesetzlichen Anspruch auf professionelle Sprachmittlung in der Arbeit mit Geflüchteten und anderen, mit denen eine korrekte Verständigung andernfalls nicht möglich ist.
Schwere Erkrankungen im asyl- und aufenthaltsrechtlichen Verfahren berücksichtigen
Schwere Erkrankungen werden nicht ausreichend im Asyl- und Aufenthaltsverfahren berücksichtigt. Zum einen verbleibt vielen Betroffenen keine Zeit zur Beibringung von ärztlichen Attesten bei der Asylanhörung. Zum anderen ist den Betroffenen durch die überhöhten Anforderungen in unzumutbarer Weise die Beweislast für das Vorliegen ihrer Erkrankung auferlegt.
Seit dem Asylpaket II und dem so genannten Geordnete-Rückkehr-Gesetz sind die Anforderungen an Atteste kaum noch erfüllbar. Wegen des (Fach-)Arztkriteriums werden Stellungnahmen psychologischer Psychotherapeut*innen nicht mehr berücksichtigt.
Hierdurch wurden circa zwei Drittel der Fachkräfte ausgeschlossen, die davor Stellungnahmen ausstellen konnten. Für den Ausschluss der Expertise psychologischer Psychotherapeut*innen besteht kein sachlicher Grund: Sie sind aufgrund ihrer Aus- und Weiterbildung zur Diagnostik und Behandlung psychischer Störungen befähigt und berechtigt. Es kommt deshalb zu Abschiebungen trotz schwerer Krankheit und besonderer Schutzbedürftigkeit.
Besondere Schutzbedarfe müssen in asyl- und aufenthaltsrechtlichen Verfahren eine stärkere Berücksichtigung erlangen. Zunächst müssen sie jedoch identifiziert werden können. Aus diesem Grund ist eine angemessene Zeit zwischen Asylgesuch und Asylanhörung und die Streichung der § 60 Abs. 7 S. 2 ff. und § 60a Abs. 2c und d AufenthG notwendig.
Wir bitten Sie eindringlich, im Rahmen der Koalitionsverhandlungen die vorgenannten Erfordernisse zu berücksichtigen, um die bestehenden Lücken bei der medizinischen Versorgung und dem Abschiebungsschutz zu schließen.
– Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF)
– Amnesty International
– Arbeiterwohlfahrt
– Ärzte der Welt
– Bundespsychotherapeutenkammer
– Deutscher Anwaltverein
– Deutscher Caritasverband
– Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie
– Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband
– Deutsches Rotes Kreuz
– Diakonie Deutschland
– Handicap International
– IPPNW
– Medico Internationa
– PRO ASYL